In den Händen der Mullahs

1997 wollte ein Hamburger in Iran Geschäfte machen – doch plötzlich drohte ihm die Steinigung. Helmut Hofer erinnert sich an zwei Jahre Todesangst im Gottesstaat.

Jailed German businessman Helmut Hofer, awaiting release after being fined for allegedly having an affair with an Iranian Muslim woman, is escorted by Iranian police back to a Tehran court to answer possible new charges, 14 October 1999. The possible further charges against Hofer include an accusation of "suspicious" foreign contacts, which could lead to an espionage indictment. dpa

Jailed German businessman Helmut Hofer, awaiting release after being fined for allegedly having an affair with an Iranian Muslim woman, is escorted by Iranian police back to a Tehran court to answer possible new charges, 14 October 1999. The possible further charges against Hofer include an accusation of „suspicious“ foreign contacts, which could lead to an espionage indictment. dpa

„Sie halten gleich eine kleine Ansprache. Sie sagen, dass Sie allen Beteiligten und der Bundesregierung, die sich für Ihre Freilassung eingesetzt hat, danken. Dass Sie froh sind, wieder zu Hause zu sein.“ Peter Fahrenholtz, deutscher Konsul in Teheran, sitzt neben mir in einer für uns hastig bereitgestellten Maschine der Luftwaffe. Er erteilt mir kurz vor der Landung letzte Instruktionen. Gleich ist es geschafft. In wenigen Minuten bin ich frei, und habe die Gewissheit, dass zweieinhalb Jahre meines Lebens futsch sind.

21. Januar 2000: Die Journalisten sind über unser baldiges Eintreffen am Flughafen Köln/Bonn informiert. Beim Verlassen der Maschine richten sich die Kameras auf mich. Ich bedanke mich bei der Bundesregierung. Kurz darauf werde ich von Beamten an einen sicheren Ort gebracht.
Außenminister Joschka Fischer lässt verkünden, dass mit meiner Freilassung „das entscheidende Hemmnis für die Verbesserung der deutsch-iranischen Beziehungen beseitigt“ ist. Das Hemmnis war ich. Ein Unternehmer aus Hamburg, der zum politischen Gefangenen der iranischen Regierung wurde – zum Tode durch Steinigung verurteilt, wegen vermeintlich sexueller Beziehungen zu einer Muslimin, Spionageaktivitäten und Widerstands gegen die Staatsgewalt.

Name. Pass. Mitkommen.

Die Vorwürfe waren konstruiert. Iran drängte seit Jahren auf die vorzeitige Freilassung des in Deutschland inhaftierten Kazem Darabi. Der iranische Agent war der Drahtzieher des Mykonos-Attentats, bei dem 1992 vier kurdische Exilpolitiker in Berlin erschossen wurden. Ihn wollte Teheran unter allen Umständen freipressen. Ich war das politische Faustpfand.

Wegen Export-Geschäften mit Autoersatzteilen reiste ich 1997 öfter in den Iran. Im September bin ich zum dritten Mal auf dem Teheraner Flughafen Mehrabad. Plötzlich kreisen mich fünfzehn Männer ein: Name. Pass. Mitkommen. Antworten auf meine Fragen kriege ich keine. Gegen Mitternacht zitiert man mich zu einem Beamten der Flughafenpolizei, der meine Personalien aufnimmt. Ich nenne ihm die Adresse meines hiesigen Geschäftspartners. Mein Reisepass wird konfisziert. Der Beamte entlässt mich mit den Worten: „Morgen Früh haben Sie Ihren Gerichtstermin.“ Der Grund wird mir verschwiegen.

7 Uhr morgens. Konsul Fahrenholtz steht unangekündigt vor der Tür meines Gastgebers. „Ich habe mit Berlin telefoniert“, stellt er sich vor. „Wir müssen um 9 Uhr beim Gericht sein.“ Die Bundesregierung ist also über den gestrigen Vorfall informiert.

Die vom Schnellgericht vorgelegte Anklage lautet: Sexuelle Beziehungen zu einer unverheirateten, sprich jungfräulichen Muslimin. Ein Verstoß gegen die Scharia. Für Nichtmuslime steht darauf die Todesstrafe durch Steinigung. Bei einer meiner Geschäftsreisen im Juni wohnte ich einige Tage im Laleh Hotel in Mashhad. An einem Morgen kamen zwei Mädchen auf mich zu. Sie verwickelten mich in ein Gespräch.
Eingesperrt im Folter-Gefängnis

Was die beiden genau von mir wollten, habe ich anfangs nicht begriffen. Eine von ihnen, Wahide Ghassemi, 27 Jahre alt, war Medizinstudentin. Sie wollte für ein Semester nach Deutschland kommen. Sie kontaktierte mich mehrmals, als ich wieder zu Hause war. Als ich im September wieder nach Teheran reiste, erwartete sie mich am Flughafen. Jetzt vor Gericht heißt es, Ghassemi sei damals in meinem Hotelzimmer gewesen. Sie sagt gegenüber dem Gericht aus, sie hätte die Nacht mit mir verbracht. Sie wird ihre Aussage im Laufe des Verfahrens noch fünf Mal ändern.

Mehrere Untersuchungen einer siebenköpfigen Ärztekommission werden später kein eindeutig belastendes Material hervorbringen. Erst der dritte Befund kann eine Verletzung am Jungfernhäutchen der Frau feststellen. Kurz: Es ist ein Schauprozess. Das Gericht hat nichts, aber auch gar nichts gegen mich in der Hand. Das Verfahren stockt. Ich komme aufgrund von Fluchtgefahr in Arrest.

Zweiter Verhandlungstag. Gegen eine Zahlung von 3000 D-Mark als Sicherheitsgarantie bietet mir das Gericht an, mich bis zur erneuten Prüfung der Sachlage freizulassen. Geld, das ich zu diesem Zeitpunkt nicht habe. Ich setze auf die Bundesregierung. Die weigert sich aber zu zahlen, käme es doch einem Schuldgeständnis gleich. Der Richter schließt: „Wir werden Sie hierbehalten. Sie werden ins Evin-Gefängnis verlegt.“ Das war am 21. September 1997.
Das Evin-Gefängnis ist die Verwahrstätte für politische Gefangene, berüchtigt für seine brutalen Verhörmethoden und Hinrichtungen. Man steckt mich für 42 Tage in Einzelhaft. Nach sechs Wochen werde ich verlegt. Weil die Insassen im neuen Trakt leicht an Heroin kommen, bitte ich um eine erneute Verlegung.

Todesurteil: Steinigung

Im neuen Abschnitt sitzen öffentliche Angestellte ein, die denunziert wurden oder auffällig geworden sind; aber auch Banker, Offiziere, Schriftsteller, abgesetzte Minister oder ausrangierte Geheimdienstmitarbeiter. Einer der prominentesten Insassen ist der ehemalige stellvertretende Premierminister unter Ajatollah Chomeini, Amir Entesam. Er spricht gutes Englisch und Französisch. Ich freunde mich mit ihm an.

Die Verpflegung ist deutlich besser als in Einzelhaft. Die Informationslage auch. Unter den Insassen gibt es vereinzelt Freigänger, denen es gestattet ist, das Gefängnis am Wochenende zu verlassen. Anschließend versorgen sie die übrigen Inhaftierten mit Informationen. Auch Amir Entesam kann gelegentlich raus. Er informiert mich – abgesehen von meinen Anwälten Malek Huschang Ghahari, Nasser Taheri und Fahrenholtz – bei unseren täglichen Spaziergängen im Gefängnishof über die politische Dimension meines Verfahrens.

Die ist prekär. Das Kammergericht spricht mich am 26. Januar 1998 trotz fehlender Beweise in erster Instanz schuldig. Verurteilt mich zum Tode durch Steinigung. Meine Anwälte legen Berufung ein, erklären, ich sei sogar bereit, Ghassemi zu heiraten.

Das hauptsächlich mit Mullahs besetzte Berufungsgericht weist am 27. Mai 1998 mein Verfahren an die erste Instanz zurück. Am 10. Oktober 1998 bestätigt das Berufungsgericht die gegen mich verhängte Todesstrafe. Aber ich weiß: Lassen die Iraner mich hinrichten, verlieren sie ihr Faustpfand. Wegen Mangels an Beweisen hebt also das Oberste Gericht in Teheran im Februar 1999 unerwartet die Todesstrafe auf. Am 10. April werde ich schließlich nach Zahlung der Kaution in Höhe von 300.000 D-Mark auf Bewährung freigelassen. Ausreisen darf ich nicht.

Ärger mit dem General

Ein paar Monate später, am 1. August 1999, werde ich erneut verhaftet. Das Verfahren wegen der unerlaubten sexuellen Beziehung zu einer Muslimin soll wieder aufgenommen werden. Man bringt mich zurück ins Evin-Gefängnis. Auf Drängen meiner Anwälte zieht die Staatsanwaltschaft die Anklage gegen mich am 29. September zurück.

Nur um mich am Folgetag der Spionage zu bezichtigen. In Handschellen und Häftlingskleidung werde ich zum Gerichtssaal geführt. Die Feststellung des Richters: Durch den Kontakt zu Ghassemi hätte ich eine „unangemessene Beziehung“ unterhalten – in Iran eine Chiffre für Spionageaktivitäten. Ich werde zu einer Geldstrafe von 65.000 Mark verurteilt.

Aus dem Evin bin wieder ich raus. Frei bin ich noch längst nicht. Das Auswärtige Amt der Bundesregierung veranlasst, dass ich während meiner Bewährung im Deutschen Archäologischen Institut in Teheran untergebracht werde. Es ist mir auch gestattet, mich innerhalb der Stadt in Begleitung einer Eskorte frei zu bewegen. Die Unterbringung dort lässt sich gut ertragen. Am 13. Oktober stehe ich nachts im angrenzenden Garten des Instituts. Das Areal ist umsäumt von Bäumen, die Luft noch angenehm warm. Offizielle des Iranischen Innenministeriums sind zugegen – darunter ein mir namentlich unbekannter General.

Er fordert mich auf, schlafen zu gehen. Ich entgegne: „Sie haben mir gar nichts zu sagen.“ Der General greift zum Telefon. Bespricht sich auf Persisch mit einer Person am anderen Ende. Zusammen mit zwei mir zugeteilten Sicherheitsbeamten fahre ich am nächsten Morgen in die Stadt. Aber anstatt die Route zum Basar einzuschlagen, steuert der Fahrer den Wagen zum Gericht. Mir ist sofort klar: Der Grund ist die Auseinandersetzung von gestern Nacht.

Endlich in Freiheit

Der Wagen hält vor dem Gerichtsgebäude. Erneut verurteilt zu werden und zurück in die Evin zu müssen, kann mein Todesurteil bedeuten. Nach zwanzig Minuten kommt der Sicherheitsbeamte wieder aus dem Gerichtsgebäude. Ein großes, schweres Tor öffnet sich, der Fahrer fährt hastig hindurch. Ich werde zum Richter raufgeschleppt. Der verkündet, dass ich jetzt wegen Beleidigung zweier Beamter angeklagt bin. Ich sitze weitere zwei Monate ein.

Am 23. Dezember 1999 werde ich wieder zum Gerichtsgebäude zitiert, in einen Raum, nicht größer als zehn Quadratmeter. Spärlich ausgestattet. Anwesend sind Richter, mein Rechtsanwalt und ich. „Sie können gehen. Sie haben zuvor noch die Möglichkeit, sich bei Ajatollah Asif Mohseni zu bedanken.“

Mohseni ist oberster Richter des Landes – berüchtigt für seine Rigidität und Skrupellosigkeit. Wir werden zu ihm gebracht. Der Stuhl, auf dem er sitzt, ähnelt einem Thron. Der Ajatollah empfängt mich freundlich. Verliert kein Wort über meine Verfahren. Fragt mich aber, ob ich durch den Hauptausgang oder einen Geheimausgang das Gebäude verlassen möchte. Schon am Morgen hatte sich die internationale Presse auf dem Gerichtshof eingefunden. Mittlerweile warten Hunderte Journalisten. „Ich will durch den Hauptausgang raus, so, wie ich auch reingekommen bin.“ Mohseni nickt. Ich bin entlassen.
Ich dränge mich durch die Massen. Ich merke, jetzt muss alles ganz schnell gehen. Der Botschafter ist nervös. Ich muss schleunigst außer Landes gebracht werden, bevor es sich die Teheraner Regierung wieder anders überlegt. Die Botschaft hat einen Flug morgens um 5 Uhr organisieren können. Das Zivilflugzeug wird mich später nach Zürich bringen. Dort wird ein Flieger der Bundeswehr auf mich warten.

Die Türen schließen sich. Fahrenholtz reicht mir die Hand, um mich zu beglückwünschen. Erleichterung tritt allerdings erst ein, als die Maschine abhebt. Die große Freude über meine wiedergewonnene Freiheit bleibt aber aus. Ich habe zu viel verloren – viel mehr als nur zweieinhalb Jahre.

Helmut Hofer lebt seit seiner Freilassung wieder in Hamburg und führt dort einen Lederwarenladen, um über die Runden zu kommen. Die meisten Kunden hat er nach seiner Haft verloren. So auch eine Wohnung in der Schweiz, die während seiner Haft zwangsversteigert wurde. Mit dem Kanzleramt liegt Hofer seit 2010 ebenfalls im schriftlichen Streit. Das Amt verweigert Hofer den vollen Anspruch auf Rentenleistungen, da Beitragszahlungen seitens Hofer ausgeblieben seien und die Zeit der Inhaftierung im Iran nicht als Ersatzzeit für die Rente berücksichtigt werden könne. Helmut Hofer ist 71 Jahre alt.

Aufgezeichnet von Michael Iseghohi