Über diese internationalrechtlichen Einzelregelungen zum Schutz des Kindes hinaus entstand alsbald auch das Bedürfnis, die Leitgedanken für den dem Kinde gebührenden rechtlichen Schutz nach dem Vorbild der Genfer Erklärung von 1924 in einer allgemeinen Erklärung zusammenzufassen. Eine solche Erklärung ist zwar nicht wie ein internationales Übereinkommen völkerrechtlich verbindlich. Sie bietet aber den Vorteil, das sie sich als Empfehlung an sämtliche Staaten richtet.
Erklärung der Rechte des Kindes
Präambel
Da die Völker der Vereinten Nationen in der Charta ihren Glauben an die Grundrechte des Menschen und an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit erneut bekräftigt und beschlossen haben, den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern;
da die Vereinten Nationen in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verkündet haben, daß jeder Mensch Anspruch auf die darin verkündeten Rechte und Freiheiten hat, ohne irgendeine Unterscheidung, wie etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer und sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, nach Eigentum, Geburt oder sonstigen Umständen;
da das Kind wegen seiner mangelnden körperlichen und geistigen Reife besonderen Schutzes und besonderer Fürsorge, einschließlich eines angemessenen rechtlichen Schutzes vor und nach der Geburt bedarf;
da die Notwendigkeit solcher besonderen Schutzmaßnahmen in der Genfer Erklärung der Rechte des Kindes von 1924 ausgesprochen und in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie in den Satzungen der mit dem Wohl des Kindes befaßten Sonderorganisationen und anderen internationalen Organisationen anerkannt worden ist;
da die Menschheit dem Kind das Beste schuldet, das sie zu geben hat,
verkündet die Generalversammlung die vorliegende Erklärung der Rechte des Kindes mit dem Ziel, dass es eine glückliche Kindheit haben und zu seinem eigenen Nutzen und zum Nutzen der Gesellschaft die hierin aufgeführten Rechte und Freiheiten genießen möge, und fordert Eltern, Männer und Frauen als Einzelpersonen sowie Wohlfahrtsverbände, Kommunalbehörden und nationale Regierungen auf, diese Rechte anzuerkennen und sich durch im Einklang mit den nachstehenden Grundsätzen schrittweise zu treffende gesetzgeberische und andere Maßnahmen für die Einhaltung dieser Rechte einzusetzen:
Artikel 1
Das Kind genießt alle in dieser Erklärung aufgeführten Rechte. Alle Kinder ohne jede Ausnahme haben ohne Unterschied oder Diskriminierung auf Grund der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Überzeugung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Eigentums, der Geburt oder der sonstigen Umstände, die in der eigenen Person oder in der Familie begründet sind, Anspruch auf diese Rechte.
Artikel 2
Das Kind genießt besonderen Schutz und erhält kraft Gesetzes oder durch andere Mitel Chancen und Erleichterungen, so daß es sich körperlich, geistig, moralisch, seelisch und gesellschaftlich gesund und normal und in Freiheit und Würde entwickeln kann. Bei der Einführung von Gesetzen zu diesem Zweck sind die Interessen des Kindes ausschlaggebend.
Artikel 3
Das Kind hat von Geburt an Anspruch auf einen Namen und eine Staatsangehörigkeit.
Artikel 4
Das Kind genießt die Leistungen der sozialen Sicherheit. Es hat einen Anspruch darauf, gesund aufzuwachsen und sich zu entwickeln; zu diesem Zweck erhalten sowohl das Kind als auch seine Mutter besondere Fürsorge und besonderen Schutz einschließlich einer angemessenen Betreuung vor und nach der Geburt. Das Kind hat ein Recht auf angemessene Ernährung, Unterbringung, Erholung und ärztliche Betreuung.
Artikel 5
Das Kind, das körperlich, geistig oder sozial behindert ist, erhält die besondere Behandlung, Erziehung und Fürsorge, die seine besondere Lage erfordert.
Artikel 6
Das Kind braucht zur vollen und harmonischen Entfaltung seiner Persönlichkeit Liebe und Verständnis. Es wächst, soweit irgend möglich, in der Obhut und unter der Verantwortung seiner Eltern, auf jeden Fall aber in einem Klima der Zuneigung und der moralischen und materiellen Sicherheit auf; ein Kleinkind darf — außer in außergewöhnlichen Umständen — nicht von seiner Mutter getrennt werden. Die Gesellschaft und die öffentlichen Stellen haben die Pflicht, Kindern, die keine Familie haben, und Kindern ohne ausreichenden Lebensunterhalt besondere Fürsorge zuzuwenden. Staatliche Geldleistungen und andere Unterhaltshilfen für Kinder aus kinderreichen Familien sind wünschenswert.
Artikel 7
Das Kind hat Anspruch auf unentgeltlichen Pflichtunter richt, zumindest in der Elementarstufe. Ihm wird eine Erziehung zuteil, die seine allgemeine Bildung fördert und es auf der Grundlage der Chancengleichheit in die Lage versetzt, seine Fähigkeiten, sein persönliches Urteilsvermögen, seinen Sinn für moralische und soziale Verantwortung zu entwickeln und ein nützliches Glied der Gesellschaft zu werden.
Die Interessen des Kindes sind die Richtschnur für alle, die für seine Erziehung und Anleitung verantwortlich sind; diese Verantwortung liegt in erster Linie bei den Eltern.
Das Kind hat volle Gelegenheit zu Spiel und Erholung, die den gleichen Zielen wie die Erziehung dienen sollen; die Gesellschaft und die öffentlichen Stellen bemühen sich, die Durchsetzung dieses Rechts zu fördern.
Artikel 8
Das Kind gehört in jeder Lage zu denen, die zuerst Schutz und Hilfe erhalten.
Artikel 9
Das Kind wird vor allen Formen der Vernachlässigung, Grausamkeit und Ausbeutung geschützt. Es darf nicht Handelsgegenstand in irgendeiner Form sein.
Das Kind wird vor Erreichung eines angemessenen Mindestalters nicht zur Arbeit zugelassen; in keinem Fall wird es veranlaßt oder wird ihm erlaubt, einen Beruf oder eine Tätigkeit auszuüben, die seine Gesundheit oder Erziehung beeinträchtigen oder seine körperliche, geistige oder sittliche Entwicklung hemmen würden.
Artikel 10
Das Kind wird vor Praktiken geschützt, die eine rassische, religiöse oder andere Form der Diskriminierung fördern können. Es wird erzogen im Geist der Verständigung, der Toleranz, der Freundschaft zwischen den Völkern, des Friedens und der weltweiten Brüderlichkeit sowie im vollen Bewußtsein, daß es seine Kraft und seine Fähigkeiten in den Dienst an seinen Mitmenschen stellen soll.
Nach jahrelangen Beratungen hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 20. November 1959 als Resolution 1386 (IV) folgenden Beschluss gefasst: